Hart an der Grenze

Sie ziehen der Arbeit wegen her oder der Liebe, manche suchen Schutz auf der Flucht aus der Heimat. Die Gründe, wieso ausländische Zuwanderer nach Trier kommen, sind zahlreich. Ihr Ziel eint: Sie wollen bleiben. Einer der ersten Anlaufstellen in der Stadt, die Heimat werden soll, ist das Amt für Ausländerangelegenheiten in der Thyrsusstraße. Auf offene Arme stoßen sie hier nur bedingt.

Es gibt wenige Orte, an denen sich eine alte Frage so häufig neu stellt, wie hier. Mittwochnachmittag, Trier-Nord. Das Amt für Ausländerangelegenheiten ist ein schmuckloses Gebäude mit Bunkerromantik. Dort, rechter Eingang, zweites Obergeschoss, müssen sich Ausländer melden, wenn sie nach Trier zuwandern. Hier werden sie ausgewiesen oder eingebürgert. Das Amt ist einer der ersten Berührungspunkte mit dem Zuhause auf Zeit, die Männer und Frauen werden auch dann herbestellt, wenn Trier längst Heimat ist. Wie präsentiert sich die Stadt dort Menschen, die gekommen sind, um zu bleiben? Nun ja.

Derzeit leben etwa 9800 Ausländer in Trier, die meisten stammen aus Polen, andere wandern aus Frankreich, Russland oder der Ukraine zu. Für den Aufenthalt in Deutschland benötigen sie einen Titel. Das Gesetz hierzu unterscheidet grundsätzlich zwischen fünf Stufen: von der einfachen Aufenthaltserlaubnis bis hin zum Visum, teils befristet, teils unbefristet. Jeder Aufenthaltstitel ist an verschiedene Bedingungen geknüpft, Ausnahmen wuchern zu jeder Regel. Der Grat dazwischen ist paragraphenreich. Und manchmal ist er schmal. „Wir versuchen, Härten zu vermeiden, gleichzeitig aber klare Kante zu zeigen“, sagt Dietmar Martini-Emden, Leiter des Amts.

Im Juni haben er und seine sechs Mitarbeiter 193 Menschen den Aufenthalt genehmigt, im Juli waren es 231, im August 177. Zahlen für den September gibt es noch nicht. In der gleichen Zeit sind für zehn Männer und Frauen „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ eingeleitet worden, ihr Verlängerungsantrag wurde abgelehnt, sie wurden ohne Ausweis aufgegriffen oder bei der Schwarzarbeit erwischt.

Etwa 20 Ausländer haben an diesem Nachmittag ein Anliegen, sie stehen Schlange im Treppenhaus der Behörde. Einige sitzen auf den Stufen und lesen, andere tippen auf ihrem Smartphone. 14 Uhr, die Tür wird aufgeschlossen, dahinter ein schnurgerader Flur, mausgrau, links und rechts die Büros. Weil es nicht genug Stühle gibt, hocken sich die Wartenden auf den Boden. Erneut.

Die erste Tür geht auf, eine Algerierin betritt das Büro. Sie hält einen Säugling auf dem Arm, zwei Kinder stolpern ihr nach. Die Frau möchte ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen, die deutschen Sätze holpern. Die Beamtin, sie soll Andrea Lauter heißen, prüft die Daten der Frau: Name, Geburtsdatum, Straße. Lauter erklärt, dass sie in vier bis sechs Wochen ihren neuen, elektronischen Aufenthaltstitel abholen kann.

„Wollen Sie zusätzlich die Online-Registrierung?“
„Was ist das?“
„Damit können Sie Verträge im Internet abschließen.“
„Ich verstehe nicht.“
„Das brauchen Sie, um Verträge im Internet abzuschließen.“

Verunsicherte Blicke auf beiden Seiten des Schreibtischs. Der Säugling an der Brust der Frau murrt und der Sohn springt durch den Raum und die Tochter versucht sich am Kopierer. Nur die Luft steht. Lauter zeigt mit dem Finger auf das „Ja“-Feld, die Algerierin kreuzt an. Die Beamtin zeigt mit dem Finger auf die Linie, unter der „Unterschrift“ steht, die Frau setzt den Kugelschreiber an. Dass ihr klar ist, was sie mit ihrem Namen besiegelt, dieser Eindruck entsteht nicht.

Draußen vor dem Zimmer flucht eine junge Algerierin in ihr Handy, dass es länger dauere und sie nichts dafür könne. Sie trägt etwas sehr Buntes, die Haare sind gesträhnt, ihr Trierisch ist breit. Seit mehr als zwanzig Jahren lebt sie in der Stadt. Der neue Pass ist fünf Wochen überfällig, dabei hat sie rechtzeitig alle Dokumente eingereicht, sagt sie. Um sich trotzdem ausweisen zu können, muss sie an diesem Tag ihre Fiktionsbescheinigung verlängern lassen, schon seit anderthalb Stunden tigert sie über den Flur. Dann ist die Frau an der Reihe. Sie geht rein ins Büro – zwei Aufkleber, zwei Stempel, eine Unterschrift. Sie kommt raus. „Die Beamten sind nicht immer freundlich“, sagt sie, die Stimmung schwanke „je nachdem, wie die gelaunt sind“. Einer der Angestellten hätte schon mehrmals ihre Dokumente, seien es Lohnabrechnungen oder Versicherungsnachweise, achtlos auf den Boden geworfen. Das versteht die Einzelhandelskauffrau nicht – nie sei sie arbeitslos gewesen oder straffällig. Und dennoch: „Man denkt nicht, dass die sich gerne kümmern.“ Kurze Pause, sie verbessert sich: „Man denkt nicht, dass die Leute hier ihre Arbeit gerne tun. Einige zumindest nicht.“

Die Tür öffnet, ein junger Mann betritt das Büro, er ist gebürtig aus der Ukraine. Seit elf Jahren lebt er in Trier, Abitur an einer Trierer Schule, VWL-Studium auf dem Petrisberg. Nach mehreren Flügen nach Kiew, Zugreisen zur ukranischen Botschaft nach Frankfurt und einer Vielzahl an Telefonaten ist es so weit: Am nächsten Tag wird er eingebürgert. Dass er sich hier auf dem Amt willkommen fühlt, betont er mit Nachdruck.

Ein weiteres Mal klopft es. 2001 kam die Frau aus Krasnojarsk in Sibirien, kurze Sommer, bitterkalte Winter. Im Internet hat sie einen Trierer kennengelernt. Er versprach ihr gute Zeiten, an den schlechten ist die Ehe zerschellt. Scheidung nach einem Jahr. Sie erzählt, wie sie daraufhin angefangen hat, Informatik zu studieren, drei Semester, ehe sie abbrach. Dann die Ausbildung zur Krankenschwester, bald will sie umschulen – der Rücken. Sie steht auf und trippelt barfuß an einen der Schränke im Raum. An dessen Rückwand klebt mit Tesafilm ein Metermaß. „1,72 Meter“. „Ihre Augenfarbe?“ „Braun“. Weitere zwei Jahre darf die Russin bleiben.

„Viele haben zu hohe Erwartungen“

Fragt man Amtsleiter Martini-Emden, was für ihn „Willkommenskultur“ bedeutet, fällt auch das Wort „Grenzen“. Viele Ausländer hätten zu hohe Erwartungen, manche spielten „nicht mit offenen Karten“, wenn es darum ginge, ihren Herzug zu erklären. Die Gesetze einzuhalten, das sei sein Job.

Für die Grüne Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer liegt genau da die Herausforderung: Fremde willkommen zu heißen sei ein Versprechen, das sich nur mit Taten einlösen lässt. Die Trierer Ausländerbehörde sehe ihre Aufgaben allerdings ausschließlich darin, „die Vorgaben eines beschränkenden Ausländerrechts zu erfüllen“. Soll heißen: Minimaler Aufwand, Dienst nach Plan. Zuwanderer, sagt Rüffer, dürfe man aber nicht als Problem begreifen und so behandeln, sondern als Bereicherung.

Das hat auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg erkannt – und steuert gegen. Zehn Ordnungsämter sollen sich in den nächsten anderthalb Jahren in „Willkommensbehörden“ wandeln. Für Rheinland-Pfalz werden stellvertretend auf dem Mainzer Ausländeramt Mitarbeiter geschult, es sollen zukünftig Termine vereinbart werden, statt die Frauen und Männer warten zu lassen. Die Mitarbeiter sollen Pakete mit den nötigen Informationen verteilen, damit Zuwanderer leichter starten können. Sie sollen den Ausländern zumindest auf Englisch entgegenkommen können.

In Trier etwa sind die Zuwanderer angehalten, Bekannte mitzubringen, die Paragraphen und Gesetze aus verworrenem Amtsdeutsch in die jeweilige Muttersprache entfädeln. Englisch sprechen wenige Mitarbeiter, nur eine Frau sagt, sie beherrsche zudem ein paar Brocken Französisch und Italienisch. Hier bewerben Flyer Sprach- und Integrationskurse, allerdings ausschließlich auf Deutsch. Termine hat an diesem Nachmittag niemand vereinbart. Ja, es mag ein zufälliges Bild sein, das sich nach fast vier Stunden aus der Summe vieler Teile geformt hat. Heute so, morgen vielleicht anders. Seiner Aussage zu glauben beschämt nichtsdestoweniger.

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