Frische und Lebendigkeit, die staunen macht

Der Verlag 28 Eichen in Barnstorf, der sich um die Herausgabe fast aller Prosawerke Arthur Conan Doyles auf deutsch verdient gemacht hat, veröffentlichte nun neben einer Erzählung auf einen Schlag die 39 Dramen von Klauspeter Bungert. Auf seiner Website zeigt er die vierbändige Ausgabe als „Die Entdeckung eines großen deutschen Dramatikers“ an.

Von der ersten Seite an erwartet den Leser eine Frische und Lebendigkeit, die staunen macht. Hier denkt, schreibt und konzipiert jemand mit eigener Handschrift, ausgefeilt, aber ungesucht, mit ironischer Distanz oder auch bloß absichtsvoll unbekümmert um literarische Moden und den Kanon allzu oft bemühter Pflichtthemen. Den religions- und ideologiekritischen Standpunkt teilt er freilich mit einigen namhaften Kollegen, und eine allerdings komödienhaft eingebettete – ja, das geht – Aufarbeitung einer nationalsozialistischen Familiengeschichte gibt es auch: „Der Kreisleiter“ (Band 4). Wie immer wieder benutzt Bungert ein heikles Thema, um unerwartete Zusammenhänge aufzuzeigen: Sein Schuldiger hatte ernstzunehmende persönliche Gründe für sein Engagement in der falschen Partei, seine Enkelin, die reizende kleine Silvi, bittet den Richter um Gnade für einen Opa, denn der ist ihr unabhängig von seiner Vergangenheit nur liebevoll begegnet.

Bungert verfährt mit Tabus manchmal so, als wären sie keine. Das hat etwas Befreiendes und eröffnet unter der Hand einen Blick in eine Welt mit menschlicherem Antlitz. In einer persönlichen Mitteilung nennt der Autor Ehrlichkeit als seinen persönlichen Beitrag zum Weltfrieden, Tabuisierung und ideologisches Wunschdenken dagegen als dessen Feind. Spätestens in seinen metapolitischen Stoffen in „Die Nacht geht auf“, „Der Durchbruch“, „Lenieff“, „Die Stunde des Pilatus“ und „Einkehrtage“ wird jedem Leser die Sorge um unsere Freiheit und den Bestand unserer Existenzgrundlagen klar.

Man gewinnt zu den durchweg farbigen Charakteren bei Bungert ad hoc Kontakt, man ist von der ersten Minute an gleich mittendrin und bleibt es bis zur letzten, auch wenn die thematischen Finessen erst später einleuchten und genaueres Kennen erfordern.

Bungert übt ironisch verpackte, in der Sache scharfe Kritik an Gesellschaft, ihren Ideologien, der Überheblichkeit der Politik und dem Raubbau an den ökologischen Grundlagen. In seinen Seitenhieben auf blinden Fortschrittsglauben, den er in einer bedrohlich gewordenen Entwicklungslinie mit den überlebten Religionen sieht, droht ihm der Gaul zuweilen durchzugehen, aber dann bringt er, wie um sich zurückzupfeifen, zur rechten Zeit ein überraschendes Gegenargument. Als Autor bleibt er immer „objektiv“.

Wenn man dieses wie ein Gesteinstrümmer von einem fremden Stern so plötzlich zutagegetretene gewaltige Opus überblickt, fallen einem viele Gestalten ein, Situationen, die haften bleiben, Liebenswürdiges, Neuralgisches, auch einiges an der Grenze zum nicht mehr ganz Jugendfreien. (Oder doch eher schon darüber hinaus?)

Formal sind die Stücke lupenrein gearbeitet, was auf ihre nicht selten jahrelange Entstehungszeit zurückzuführen sein mag. Kaum fünf davon verlaufen nach demselben Strickmuster. Eine Ausnahme bilden die göttersatirischen Komödien um einen sportlichen Mittfünfziger herum namens Herr Gott und die als eine blasphemische (Freilufttheater-)Trilogie angelegten „Drei Trierer Historiendramen“ um Ereignisse aus der römischen Spätantike.

Obwohl Bungert Conrad Ferdinand Meyer, über den er seit Jahrzehnten forscht und publiziert und dem er eine bewegende fiktionale Biographie („Auf dem Canal grande“, Band 2) widmet, und Molière als seine zentralen Einflüsse nennt, merkt man das allenfalls indirekt: In der „objektiven“ Haltung, die über dem Ganzen waltet, und einer Freude an Satire und Ironie. Atmosphärisch überrascht dagegen, ganz andere Ecke, der eine oder andere Anklang an Ibsen.

Als Musiker wird Klauspeter Bungert schon seit langem sehr geschätzt. Nun wurden seine Dramen und ein Prosawerk veröffentlicht. Archiv-Foto: Christian Jöricke
Als Musiker wird Klauspeter Bungert schon seit langem sehr geschätzt. Nun wurden seine Dramen und ein Prosawerk veröffentlicht. Archiv-Foto: Christian Jöricke

Die gewaltige Textmenge – für geschätzte 70 Stunden Aufführungsdauer – findet in dieser Erstausgabe auf knapp 1500 Buchseiten Platz, die prall gefüllt, dank einer gestochen scharfen Schrifttype aber hervorragend lesbar sind. Wenn die Bühnenrechte auch seit 2010 vom jungen Cantus-Theaterverlag in Eschach vertreten werden, eignen sich die Texte aufgrund ihres literarischen Reizes ebenso fürs Lesen im heimischen Wohnzimmer.

Ich hatte während meiner Trierer Jahre öfter Gelegenheit, das Wachsen und Werden einiger der Texte zu verfolgen, und war schon damals von ihrer Bedeutung überzeugt. Jetzt, im monumentalen Überblick des bis heute Abgeschlossenen, bin ich sprachlos angesichts der überbordenden, aber immer kontrollierten Vielfalt der Formen, Themen und Einsichten. Phantastisch!

David Obermann

Bungert, Klauspeter: Dramen, Band 1 bis 4. Verlag 28 Eichen, Barnstorf. 2015.

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