Viezbruderschaft trinken

Neulich habe ich mich in einer Eckkneipe in der Maximinstraße vom Backes Herrmann überreden lassen, Viez zu trinken. „Wenn’s denn sein muss: Einen Viez, bitte!“, sage ich zur erwartungsvoll dreinschauenden Wirtin. Und? Rennt sie los und füllt eine Porz? Nein, sie fragt: „Welchen?“

„Wie? Welchen? Gibt’s etwa verschiedene Sorten?“ Sie und der Herrmann schauen triumphierend: „Willste ‘nen Welschbilliger, Thommer, Waldracher oder Liersberger?“
„Ach, gibt’s da Unterschiede?“
„Dau bis wohl Saarlänner!“ (Mist, merkt man das?) Die Wirtin stellt mich vor die Wahl: „Erdig-intensiv, kräftig-gefällig, elegant-säurebetont, ausgewogen-fruchtig?“ Ich bestelle „alkoholig-wirkungssicher“, was die Wirtin klaglos akzeptiert.

Drei Porzen später habe ich entschieden: Ja, ich möchte mehr über Viez wissen! Theoretisch und praktisch. „Dann musste zu den Viezbrüdern!“, rät mir Herrmann. „Klingt wie ‘ne Klostergemeinschaft“, maule ich besorgt. „Ist aber lustiger“, überzeugt mich der Herrmann. Ich also ab zum Weiler Hanspitt, Präsident der Trierer Viezbruderschaft e.V. Und siehe: Die Viezbrüder nehmen mich spontan mit auf Vereinsfahrt.

Ich war noch nie in meinem Leben in Esch. Sie etwa? Esch bei Rivenich bei Hetzerath. Ganz ehrlich: Es wurde höchste Zeit, dass ich da mal hinkomme. Grund der Vereinsfahrt ist die Besichtigung des „Escher Wirtshauses“, die haben nämlich den besten Viez. Das ist amtlich. Der Escher Viez hat bei der DLR-Prämierung 2014 Bestnoten abgesahnt (in Blindverkostung) und ist bester Viez von ganz … ich weiß nicht mehr, von wo. Ganz Rheinland-Pfalz? Jedenfalls sind wir uns nach den ersten Probeschlückchen einig: der beste Viez der Welt! Die Viezbrüder-Delegation nimmt diese Prämierung zum Anlass, der Wirtin Anita Gabler eine schriftliche Ehrung zu überbringen. Der Escher Viez erweist sich als so hervorragend, dass der Weiler Hanspitt bei seiner Lobrede auf Anita zum Schluss kommt: „Daojeh, dao soll sie dat weiter su maachen!“

Nun ist so eine Urkunde ja rasch überreicht und dann muss man noch drei Stunden auf den Bus warten. Und wenn man sich das Leben schon schöntrinkt, dann am besten mit Viez! Obwohl ich ansonsten nicht nur Pfefferminztee trinke, kann ich bei der Schlagzahl der Viezbrüder kaum mithalten. Gefühlt alle fünf Minuten legen sie „de (der? die?) Porz“ quer auf den Tisch, um zu zeigen, dass bloß noch Luft im Porzellangefäß ist, und dass die Gefahr der schleichend eintretenden Nüchternheit droht. Als nach mehreren Porzen bei manchen Viezbrüdern das zügige Leertrinken etwas ins Stocken gerät, spült man gemeinschaftlich mit Obstbrand nach, um die Kehle funktionsfähig zu halten.

Kassenwart Uwe verrät mir, warum er dem Verein beigetreten ist: „Wegen der Satzung!“, meint er schelmisch lächelnd, „da steht nämlich eindeutig: ‚Brüder‘! Nix mit Viezschwestern (es gibt also keine Koedukation, wenn man etwas über Viez lernen will). Das ist ein reiner Männerverein. Es soll ja auch Spaß machen.“ Letzteres meint er sicher nicht so. Zumindest höre ich von den Viezbrüdern kaum zotige Herrenwitze. Man konzentriert sich ganz aufs Wesentliche, nämlich aufs Gemütlich-vor-sich-hin-Trinken.

Insgesamt hat der Verein 17 Mitglieder, und zwar ausschließlich Aktive. Die Jugendabteilung besteht aus Ossi, der mit seinen zarten 42 Jahren der Jungspund der Truppe und damit der Ein-Mann-Nachwuchs der Viezbrüder ist. Es gibt sicher Jesuiten- oder Vinzentinerklöster, in denen der Altersdurchschnitt niedriger liegt, aber das Gute bei den Viezbrüdern ist, dass es notfalls reicht, sich erst deutlich im Ü-50er-Bereich zu ihnen zu bekennen – und dann immer noch die Chance hat, sich eine würdevolle Position zu erarbeiten.

Sepp, mit dem ich als nächstes anstoße, ist Viezbruder Nr. 14. Die Mitglieder werden also durchnummeriert, wie die Spione beim britischen Geheimdienst. Ich hab vergessen, ob Axel Nr. 13 oder 15 ist, jedenfalls versucht er, den beklagenswerten Zustand meines Trierisch zu verbessern, und tatsächlich gelingt mir nach einem weiteren Viez der typisch trierische „oa-Diphthong“ – oder ist es ein ao-Diphtong? Ein kurzer Diphthong-Streit entsteht, der aber bald gelöst wird: Die Maarviertel-Kneipe heißt doch „Aom Ecken“. Na also.

Viez aus der Wand - wo gibt es denn so etwas? Na, im "Escher Wirtshaus"! Foto: Frank P. Meyer
Viez aus der Wand – wo gibt es denn so etwas? Na, im „Escher Wirtshaus“! Foto: Frank P. Meyer

Für meine Aussprache des Trierischen stellt es sich als vorteilhaft heraus, dass Viezbrüder nicht nur das traditionelle Brauchtum der Apfelvergärung pflegen, sondern auch gegen Birnen nichts einzuwenden haben. Vor allem, wenn selbige in gebranntem Zustand gereicht werden. Nachdem ich einen „Willi“ zwischen zwei Porzen eingeschoben habe, schleift sich mein Konsonantengebrauch von selbst ab, und ich erweise mich gut gewappnet, um „Su waor em Leew noch neist!“ mitzusingen (auf die Melodie der englischen Nationalhymne). Eine tüchtig Viez trinkende Frauengruppe am Nachbartisch antwortet auf das warmstimmige Männertimbre mit einer Viez-Version von „Griechischer Wein“ und wird dafür vom Viezbrüder-Präsi spontan zu „Viezschwestern ehrenhalber“ erklärt. Zumindest für einen Abend.

Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, Viezbrüder täten nichts anderes als Viez trinken. Erst kürzlich haben sie zum Beispiel die Porz vorm Aussterben bewahrt. Die EU befasst sich ja nicht nur mit Nebensächlichkeiten wie dem Krümmungsgrad der Gurke, sondern kann durchaus auch ernsthafte Schwierigkeiten verursachen. So etwa durch den Vorschlag, nicht-durchsichtige Trinkgefäße dürften keinen Eichstrich außen haben, da der Kunde dann nicht genau sähe, ob richtig eingeschenkt worden sei. Nun weiß der EU-Beamte natürlich nicht, dass der Hunsrücker oder Eifeler Viezwirt, ja selbst der Wirt aus dem Saargau, lieber deutlich über den Eichstrich – bis hin zur veritablen Oberflächenspannung – einschenkt, als sich nachsagen zu lassen, er geize mit dem Viez. Bevor jedenfalls die Bundesregierung überhaupt in Versuchung geraten konnte, diesen unsinnigen EU-Vorschlag in die Tat umzusetzen, hat die Trier Viezbruderschaft Malu Dreyer höchtpersönlich ausgesandt, um dies zu verhindern. Die Viez-Welt ist also wieder in Ordnung. Sogar wenn man sie nüchtern betrachtet.

Später am Abend gibt der Gabler Erwin gerade den neuen, den 2014er Viez zur Erstverkostung frei (was den Uwe zum Ausruf veranlasst: „Na, da kann man sich doch schon auf den kommenden Sommer freuen!“), da passiert etwas Trauriges: Der Bus steht vor der Tür (bereits seit einer halben Stunde). Die dreieinhalb Stunden Vieztrinken sind schon um. Wir müssen zurück nach Trier! „Daojeh, dann maache mir dat su!“, tröstet der Weiler Hanspitt uns.

Bestimmt werde ich mich nicht gleich morgen vom Bier und Wein abwenden. Aber ich kenne jetzt mindestens 17 Trierer, mit denen ich sicher ein paar Porzen Viez trinke, wenn ich die Brüder in den einschlägigen Kneipen wiedertreffe.

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